Es könnte Ihnen passiert sein, daß Sie diesen Titel falsch gelesen haben – dann war‘s ein Lesefehler. Mir passiert oft, daß ich etwas falsch lese, so oft und auch mit großem Vergnügen, daß ich daran zweifle, ob es mir tatsächlich passiert, ob ich nicht willentlich daran beteiligt bin. Die Wirklichkeit will ich nicht wahrnehmen wie sie ist, daran zweifle ich nicht; ein Grund sich zu verlesen. Ein weiterer könnte mein tiefer, unerschütterlicher Glaube an den »Freudschen Versprecher« sein. Im tiefen, unerschütterlichen Mißtrauen meinen Mitmenschen gegenüber leuchtete mir vor Jahren, als ich davon hörte, sofort ein, daß, wenn man sich verspricht, man das sagt, was man sagen wollte. Ich wende das nicht mehr auf meine Umwelt an, sondern beziehe es auf mich und möchte das Vergnügen nun nicht mehr missen, ein Freudscher Verleser zu sein. Ob es sich hier im Sinne Freuds, so wenig ich davon verstehe, um eine »Fehlleistung« handelt, kann ich nicht sagen, gewiß ist meine Absicht etwas zum Vorschein kommen zu lassen. Ich schaue somit in die Wolken nicht der Wolken wegen, sondern um mich im schauenden Phantasieren zu üben. Bei meinem täglichen In-die-Wolken-Schauen ist es in der Tat nicht so, beim Lesen aber oft.
Das nenne ich einen Leserfehler. Ein Lesefehler ist bloßer Zufall, hat keinerlei Bedeutung, hinter einem Leserfehler dagegen steht eine Person, die verborgene Ansicht, daß das Verborgene wichtiger als das Offensichtliche sei und, daß es nicht anders hervorzuholen sei als durch Selbstüberlistung. Ich lese lieber zwischen den Zeilen als mit den Zeilen, eine schädliche und anstrengende Untugend.