Hass

Es ist nicht erstaunlich, wie sehr Hass geliebt wird. Denn er ist Liebe, ansteckende Liebe. Liebe zur Selbstgerechtigkeit und Selbstgerichtsbarkeit.

Hass ist ein großes, das Ich vergrößerndes Gefühl, ein heißes, das Blut bis in das letzte verschrumpelte Äderchen pumpt: Du fühlst dich, als wärst du am Leben! Hass verstärkt sich in Gemeinschaft – Miteinander-Hassen: das ist die große Gemeinschaft, die Einheit, die Glückshormone ausstößt und Kraft verleiht, denen, die sich ihrer Ohnmacht hingeben beim Abfeiern von Hass.

Hass konzentriert seine große verneinende Kraft, seine Liebe, auf den Tod. Seine Liebe? Der Hassende hält sich für einen großen Liebenden – er glaubt die Liebe zur Freiheit sei es, die ihn hassen lässt. Hass ist das große Gefühl der Freiheit und Befreiung.

Hass ist laut und schreit und brüllt und tobt. Das tut so gut! Lass es raus, lass dich gehen! – Hass liebt keine Unterdrückung, am wenigsten die eigene. Hass braucht Luft, die stickige Luft um dich und Feuer und Menschen zum Verbrennen und Zerfleischen.

Was kommt nach Hass? Daran denkt der Hassende nicht.

Hass ist anhaltender als das, was wir Liebe nennen, ist ausdauernder. Er ist ansteckend und gefräßig, immer hungrig und wird nie satt und macht niemanden satt. Hass baut Tunnel in dir und gräbt und gräbt und wuchert.

Lass ihn nie versiegen, den Strom, der durch deine Adern pulst, gib ihm in deiner Familie seine Bahn und ehre alle, die das Leben nur im Feuer erkennen können, wenn es sich auflöst und zum Himmel steigt. Brenne! Und zünde die Welt an. Es muss ihr ein Licht aufgehen!

Du kannst Hass vererben: Er sei dein größtes, wahrstes Gut! Du kannst ihn in Schulbücher eintragen und weitergeben, auf dass er nie vergessen werde: Bring ihn deinen Kindern bei, damit sie teilhaben an deiner großen Liebesgeschichte und zu dir werden. Und knete fleißig Gerechtigkeit hinein und einen Gott, der deine Kinder zu seinen und vor allem deinen Kriegern macht. Gib ihnen Steine, Patronengürtel und Handgranaten mit auf ihren Schulweg und jemand, der zu hassen ist: Es gibt immer einen! – Das ist die einfache Parole, die Hass lehrt. Töte nicht den Hass in dir, töte den, den du hasst – und es geht dir gut und besser und immer besser mit jeder Leiche, die du trittst. Das darfst du feiern und du wirst befeuert.

Wer Hass trinkt, wird durstig. Er wird das Getränk saufen und saufen müssen, das vor ihm ausgeschüttet wird und wenn er’s nicht sieht, dann holt er es sich und wenn er in Stiefeln darin watet. Im Blut, im süßen Blut der Rache.

Fühle! Aber denke nicht! Lass dir sagen und gib das weiter, Wort für Wort.

Es ist nicht erstaunlich, dass Hass gefeiert wird. Du merkst das aber nicht, denn du meinst, er sei Befreiung.

Undanksagung

Eine Tiln Rom Poesie

Mann in gelbem Trikot schließt einen Teufelskreis.
Mann in Grün steht auf der Kippe.
Mann in Blau hält Bruchstücke nur von sich.

Mann mit Echo übt Purzelbäume.
Mann mit Perspektive schaut aus Marmorwolken.
Mann in Lila schreit vom Reisehimmel.
   Was machst du, Tiln Rom?

Frau in Gelb schminkt Lippenbekenntnis rosenrot.
Frau in blendender Idee setzt Sonnen hell in Brand.
Frau in Weiß von Duft so frisch beflügelt.
Frau an Heimatfront steckt neue Ziele ab.
   Wofür stehst du, Tiln Rom?

Gesichtsmaus lernt Zwiesprechen.
Phantom hat verwischte Gefühle.
Schiff der Bauwirtschaft treibt in guter Strömung.
Forelle lebend frisch schaut übers Ährenfeld zu dir hinüber.
   Was siehst du, Tiln Rom?

Ist die Windhose schon vergessen?
Leben Arme in hautnaher Erfahrung?
Kann ein Hoffnungsträger nur in Obertönen krähen?
Sind Spesenritter Pizza für die Seele?
   Was weißt du, Tiln Rom?

Obstbaum steht im Schuldendienst.
Rattenfänger harrt im Regenbogen.
Wettleser hüpft laut im Sattel auf und nieder.
   Was sagst du dazu, Tiln Rom?

Religiöse Eiferer ohne Gott,
Blindgänger am Scheideweg,
Zweitmeiner in der Statusblase,
Barfußschuh und Nacktgesicht,
Heimweh und Hügelpfütze,
Hiobskräuter, Schlauchbootlippen –
   kennst du alles nicht, Tiln Rom?
   Hast vor dem Sofa nur gepennt und rumgeschnorchelt?

Wenn der Strom auf null gefriert,
der Mond herunterspuckt,
das Käppi auf die Nase rutscht –
   wie geht es dir dabei, Tiln Rom?

Blökt in der Gerüchteküche ein Lama,
bringt Schwung in den Plumpsack.
Laufen Schneemänner durch die Fußgängerzone,
machen Ehrenrunden in Autogrammstunden.
   Was stehst du noch herum, Tiln Rom?

Mann mit Gefühlen geht Gassi mit dir –
nun zieh endlich an der Leine!
   Tiln Rom!

Zurück in die Zukunft! Zurück ins Gleis.
Da wollen wir hin!

Krebs ohne Bierbauch sucht zum Honignaschen Kuschelmaus mit kurzem Lockenkopf.
   Bist du bereit, Tiln Rom?
Dann fang an.
Heb ein Megafon ans Ohr und denke nach.
Nimm deine Beine in die Hand,
lauf ins Katzencafé,
hol dir Rat und Hilfe –
und schlag den Löffel in die Suppe!

Dann bist du du, Tiln Rom,
der Fürst für einst und immer,
der du warst und sein wirst:

Wie die Spinne im Netz voll innerer Ruhe
brich auf ins Niemalsland.

Püree

Eine Tiln Rom Geschichte

Öm Flöpp ging nach Hause und verbrannte den gesammelten Rest des Tages hinterm Ofenrohr, fabulierend und mit Ruß die Wangen bepudert. Dazwischen hatte er Zeit für Gedanken, die er mir zukommen ließ. Der dritte lautete: ›Leiste Trauerarbeit, bald wird sie gut bezahlt.‹ Er war auf der Suche nach einem neuen Traumjob; den alten, Bürgermeister im Bammeln, hatte er wegen Interesselosigkeit an eine Angelschnur für Bisamratten gehängt. Dort baumelt er immer noch und gerade dann, wenn mal die Türe aufweht und etwas frischer Duft auf dem Amtsschimmel hereinreitet.

Öm Flöpp ging mit weißen Stiefeln in einen Schreibtischwarenladen, kaufte sich einen dreikantigen rosa Füllfederhalter, denn er dachte, es begänne die neueste Zeit und sie würde einen Schreiber brauchen, der sie mit seinen unsterblichen Worten wird verewigen, denn sie hatte Hohes im Sinn und war eitel obenrum.

Da hatte er so recht!

Und plötzlich stand er im Schneegestöber, gleich ganz links neben: Tiln Rom – wem sonst! – der ihm seinen Hut in die richtige Richtung umtopfte.

»Deine Liebe war nicht erklecklich«, hörte Töm Töff eine weise und sehr verführerische Stimme im Wind. Es war die Windin selbst. Er schrieb es auf. Füllte später einen Antrag aus für neue Erfahrungen mit dieser ihm unglaublich fremden Formulierung.

Ich bewunderte Töm Töff maßvoll, damals unter diesem Gestirn, wo man so schöne Blicke hatte aus der Magellanschen Wolke, rechts vorm Kreuz des Südens auf die Venus. Kein Tag verging bei mir ohne Almenrausch. ›Logik kann ich mir nicht leisten‹, sagte ich mir, und bin auch besonders deswegen ein guter Freund von Tiln Rom, verflixt nochmal, dieser Tiln Rom, was hat er mir alles beigebracht! Und bin auch ein Freund vom Töm Töff, gewiss, einer von den wirklich wichtigen Pfundskerls, deren Aussagen dann und wann ein Gewicht in der Welt der Redner und Zungenschmeichler haben! Wir drei sattelten ein Rad, setzten uns drauf, unsere prallen Hintern rutschten mal links mal rechts. Ein Schauspiel, das gesehen wurde bis zum Friseur Wathodamill in Tasmanien und der pappte sich ein Abziehbild davon an seine Stirn und machte große Mode damit. Ein Millionengeschäft mit Klunkern auf den Zähnen und Kinkerlitzchen unter den Schuhsohlen.

»So!« rief Opa, sprang mit der heißen Käseplatte aus dem Ofen und wir versammelten uns am Rand des runden Tischs seines kleines Heims in irgendeiner Greisenanstalt, wo er seine Resttage äußerst ruhevoll und auch etwas verworren verbringen wird, bis er 120 ist. Er hatte gut gelebt ohne Rücksichten auf die Jüngeren! Er wünschte zwar zeit seines väterlich erzieherischen Lebens, dass seine Kinder es besser haben sollten, bessere Ausbildung, bessere Bezahlung undsoweiter, der ganze Kram, aber dann hat er doch gelebt wie sonst noch einer, hat verbraucht und verbraucht und jetzt ist überall die Luft so schlecht und stickig!

Katharina Völp, Öm Flöpps Frau seit 22 erfolgreichen Beziehungsjahren aus dritter Ehe, erzählte uns dazu Geschichten aus ihrem Leben in exotischen Büchern. Woher war sie so schnell gekommen? Aus einem Krieg und vielen anderen kleinen Dramen! Wir lauschten ihr so gern. Waren gar nicht darauf erpicht, dass es bald ein Ende nähme. Und dem war auch nicht so. Es dauert und dauert fort.

Tiln Rom, der Mann mit Meinungen, steht mit dieser Guten-Morgen-Geschichte über Töm Töffichen schon halb im Püree.

Spielgesellin und Spielgeselle putzten sich die Fingernägel und dann war Schluss für heute Mittag um drei. Der Vorhang fiel von der Stange ins Plafond. Wer hat diesen teuren Unsinn wieder bezahlt? Der Staat natürlich – und die Steuerzahler, diese verfressenen!

Ich wollte bald ins Bett und ins Bad gehen, das wollte ich schon lange einmal.

Gute Nacht, Tiln. Gute Nacht, Katharina. Hat mich gefreut von euch zu hören. Öm ist eh schon im Bettchen. Er gurgelt bereits im Schlaf. Ist das noch fotorealistisch vorstellbar, oder ist das nur eine grobe Collage?

So verscherbelt man kostbare Worte und verscherzt alle Meinungen, die gesammelt werden für einen Bienenwabenkorb mit Bienenstichen. Lasst es euch munden. Und denkt weiter darüber nach, wie es kommt und geht und was es tut und wie es klingt.

Ich war

Ich war in Australien.
Was habe ich dort gemacht? Sechzehntausend Kilometer weg von mir, von meiner Heimat, von meiner Wohnung, von meinem Arbeiten.

Bronzefiguren auf einem Tisch

Mich selbst hatte ich immer bei mir.
War ich einer Powerpause erlegen, von denen mir damals, vor Australien, Redaktöre berichteten im neuen, jugendlich-bekennungsüberfließenden Selbsterfahrungsjournalismus?

Zitat: … Der Leidensdruck wächst

Habe ich Detoxing von meiner Lebensweise gemacht … mich detoxifiziert (und die Welt dafür vergiftet)? War mir schon alles zu viel? Ich mir selbst? Alles Irreale rund um mich: zu viel soziales Leben in Nirvana und auf Twitter, wo ich nie war; auf Facebook, auf Instagram, wo es nicht nur ein Abziehbild von mir gibt; zu viel von Spotify, TikTok, Onlyfans, Netflix, Amazon, Whatsapp und Smartphone …

Zitat: Lade deine erste Kachel hoch

— — Ich frage mich, weil ich zurück bin in meiner eigenen Heimat, meiner eigenen Behausung, meinem Stuhl am Schreibtisch. Ich werde beim ersten Rundblick auf bekannte Abwasserzeitungen gefragt nach meinen Fußtritten gegen die Zukunft, meinen Fußabtritten, die in kommende Jahre hineinwandern und dort wuchern und alles, was wachsen will, verderben.

›Mit was hast du das ausgeglichen? Geh in dich und wenn du drinnen bist, wirst du aus dir fahren!‹

Es war alles falsch. Von Anbeginn. 1959, 1972, 2001, 2021.

Du sollst nicht reisen!

Du sollst nicht fliegen. Du sollst die Fremde dir nicht aneignen. Du sollst. Nicht. Alles hat Folgen, absehbar unabsehbar. Eine Illusion mehr auf dem Haufen, der mein Standpunkt ist.

In Zukunft keine Sternfahrten mehr nach Hammelburg, keine Wochenendausflüge mit dem Motorboot, kein Urlaub mit dem Coupé nach Norditalien. Kein Rindfleisch essen beim Fahren im Wohnmobil, keinen Käse essen, keinen Joghurt verschlingen, und nicht in Kuhaugen sehen und darin versinken, in Irrtümern von ruhigen Bildern und sanften hügeligen Weiden und summenden Bienen und Fliegen. Du sollst – NICHT.

So wie wir sind, gibt es uns nicht.
So wie wir sind, geben wir uns nur. Wir leben bloß auf den Brettern, die die Welt sind, die sie einmal bedeuteten.

Ich war in Australien und bringe nach Hause zu mir selbst Bilder von Blumen, Sonnenuntergängen, kahle, weich geschliffene Reste von Milliarden Jahre alten Bergen, die wie schlummernde Bärentatzen an den Enden meiner Behausung auf den Sonnenaufgang warten.

Schnitt!
Zurück zur Leseaufgabe.

Zitat: Tee fertig? Los geht’s!

(Der Mond ist voller Grübeleien.)

Ich war in Australien und bin zurück gar nicht ratlos.
›Hast du Geschichten mitgebracht? Etwas Authentisches gesehen, erlebt oder gar erlitten?‹ Die erstklassige westliche Welt in einem ihr gänzlich fremden Kontinent. Ich bin nicht ratlos zurückgekehrt und zur Unruhe gekommen.

Wenn ich etwas nicht weiß, nicht richtig fühle, schreibt es mir die KI korrekt und in klareren Sätzen auf den Bildschirm. Ein Chatprogramm birgt in allem überraschende Wendungen und Gedanken, die mir vielleicht nicht einleuchten … ich muss nur nachdenken, dann kann ich dem recht geben, was geschrieben steht. Was ich als falsch deklariere, ist Unwissenheit in einer inkommensurablen Welt und der Unwille, den geraden Weg hinabzurutschen, ohne Halt und Rücksicht.

Bild- und Sprach-Generatoren sind angeblich kein Ersatz für menschliche Kreativität … wer das glaubt, höre seinem begeistertem Erstaunen zu, wenn er Künstliche Intelligenz (nicht die eigene) am Werke sieht und liest und hört. Du brauchst dazu nur ein Weniges zu tippen. Die Illusion, ein denkendes Wesen vor dir zu haben, ist der willkommene Begeisterungsapplaus.

Was ich als ich hier schreibe, ist der Beweis, dass es nicht ganz wahr ist … keiner versteht mich — oder verstehen Sie sich selbst? Zumindest mehr als mich.
»Was will der?«
Was denkt der in seinem eigenen Sultanat? Wie unfair ist mein Sultanat? Was muss ich beachten, wenn ich herrschen und beherrschen will?
Die Weltwirtschaft war holprig unterwegs in huronischer Eiszeit.

Zitat: Aufklappen

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Papst betet für Erbarmungslose anstatt Obdach zu geben.
Eine Antilopenmücke surrt am Kaktus vorüber, der in der Zwischenzeit geblieben ist, wo er vorher war. Mich dagegen beschäftigen die Fettnäpfchentheorie und das Apfelmushaus, Dichter, die fabulieren: »Wir leben Gedichte.« Es beschäftigt mich meine Zen-Sucht, die Liebe zu paradoxen Sätzen, die sich in sich selbst verkrümeln. Feinschmeichler und Gaumenzüngler. Und die Frage: Wie denken Tiere, im Tierreich? Wo finde ich das?

Der einarmige Pianist schreibt über die Viola und die Kunst und Gunst der Göttin des Verzichts. Wer kennt sich darin besser aus als ausgerechnet er? Oder war es kein Er?
Geständnisse eines Vampirs, der in Baumkronen sein Nickerchen hält, und eines Küchenchefs, mit Sternen behangen: »Als wir das Nordlicht sahen, fiel jeglicher Schmäh von uns ab.« Die Weisheit des Enneagramms von umfassend göttlichem Ursprung, vom Essen und vom Hören, darüber muss berichtet werden. Eines Tages und in einer einzigen blauen langen Nacht. Kinder besprachen sich über Tyrannenmorde in Großmammas Küche und auf Papas Laptop. Der las in Grauzonen in misogynen antiken Dichtungen und zuletzt verhüllte er sein Schweigen im Darknet und in Kriminalpoetologie. Völliger Wahnsinn.
Alles das Stimmenberichte am Firmament, abgelesen vom subventionierten Energiekleingärtner am Balkon: Die freie Luft auf Stockwerk 14 atmet nur der, der sie wirklich kennt. Wer hört ihn lachen, den Bösewicht, unten im zweiten Stock, wo wir uns tummeln, in dieser Welt, die gar nicht sein wird?

Eine schöne Nachricht zwischendurch bewegte die Menschheit zu Rührungen im Gemüt. Ich horchte auf: »Die Welt trauert« las ich in den Zeitschriften für Säugetierkunde.

Zitate: Die Welt trauert

Die Welt trauert nicht um Kleinigkeiten im Krieg.

Ich kam nicht geklärter zurück aus meiner Fernreise. Reisen bildet ein, und bildet nicht, sondern bildert nurmehr. Kängurus hüpfen vor meinen Augen in den Horizont.

Stille, Trauer und kleine Gesten in der feierabendlichen Meditationsrunde beim Inder – das einzige Restaurant, das in diesem Monat hier geöffnet hat. Ich treffe alte und neue Bekannte in einer lauten Runde. Es gibt erwärmendes Debattieren über Reisen und Unsitten (nur ungenießbare Süßigkeiten südlich von Siena), unter erotisierenden Verführungsbildern halbnackter Frauen an der Wand mir gegenüber.

Wir freuen uns am Tisch und lachen über die Klappverse, die uns geschrieben wurden aus nur drei Worten, und ein Bild gab’s obendrein, mit einem weiten Lichtkreis im Hintergrund, der uns von Gott berichtete, wie er sich dem Zufall überließ und in die Schöpfung sprang.

Wie konnte es dazu kommen? (Dass ich gar nicht weg war.) Eine Frage, die mich immer beschäftigt, wenn ich die Zeile lese und die Leere dazwischen.

Vogelgesang kann nachweislich Ängstlichkeit und irrationale Gedanken mildern.

Die irrationale Gesundheit ist davon unbeeindruckt. Mit energetisierter Om-Bekleidung hudeln Sie nicht mehr aus dem Yogakurs heraus in toxisch langatmige Alltäglichkeit. Toxikologen allüberall.

Zitat: Vogelgezwitscher ist gut für die mentale Gesundheit

Ich lausche, aber es ist Winter. Kein Ton, nur ein Brummen vom Zug vorm Fenster. Ich wohne im Bahnhof, Endstation.
(Ich lausche wieder, einen Tag später und ich höre eine erste Amsel – um meine mentale Gesundheit mache ich mir keine finstere Gedanken mehr … die sind eh selten. Draußen schneit’s.)

Einen Monat Australien – was habe ich gesehen? Was habe ich zurückgebracht? Ich werde darauf zurückkommen.

War ich aus auf

Zitat: Totale Entschleunigung

Mit etwas schriftstellerischem Panik-Vokabular bleibe ich wach und erleuchtend im Hier und Heute und bin doch jeden Abend bereits um sieben Uhr der alte Mann von gestern, der seinen Abwasch nicht macht und es dem Mann von morgen entgegenschiebt.

Und dann am Morgen? Wie Phoenix in der Asche, mit Resilienz, Hypnose und Burn-in hinein in frisch gestärkte weiße Wäsche. Wohin fliegen 99 Luftballone in einer Nanosekunde? Morgen Lifestyle-Life-Berichterstattung ohne Rückzahlung von Wirklichkeit. Sexfluencer in Schleifengesprächen podcasten über blinde Flecken und Verwendung von Ursprachen in Therapiesitzungen mit dem Kamerapersonal, das all das Gefilmte mit sich nach Hause schleppen muss. Botox gegen Ohnmacht.

Warum haben Männer in aller Welt nur kurze Haare? laufen in einfältigen Hosen und Hemd und Shirt herum, farblos, gleichgesinnt auf schnelle Antworten bedacht?

Heimweh und Wehheim, so geht es mir. Aber ich bin es nicht, der hier herumformuliert.

›Verstehen Sie mich richtig!‹ schreibe ich, weil es so oft gesagt wird. Verstehen Sie mich. Versuchen Sie mit etwas Verständnis herauszubekommen, was ich meine, eigentlich, hinter meiner Vewirrung – es lohnt. Zeigen Sie Empathie dem Kopiekünstler und geben Sie nicht auf, scrollen Sie nach unten mit dem automatischen Bildlauf, klicken sie ihn an! Er hält Sie immer in der sanften Mitte und macht sie ausgeglichen. Heucheln Sie kein Verständnis, gestehen Sie Ihr Unverständnis – nie Ihren Unverstand.

Zitat: Automatischer Bildlauf

»Wie umweltverträglich sind Ihre letzten Sätze?«, fragt Sie der Müllsammler, der in Ihrer Tasse liest: Auf der Kuh entspannen Kinder, Ferien auf dem Land, totale Relaxation gewährt. Der Kartoffelmann bimmelt durch die Straße, ›fünf Kilo zehn Euro, nur für kurze Zeit!‹ Die Kirche redet queeren Menschen ins buntscheckige Gewissen, während davon Betroffene andere queere Menschen vor dem Kunstsektor auf dem Wimmelbild am Kapellenplatz rund um den Dorfsäulenheiligen demonstrieren für schräge Gleichberechtigung.

Was ist dazu Ihre ehrliche Meinung?

Krimischriftsteller und Kabarettist Jein!, als Gelegenheitsmörder ab und zu, gab fürsorgliche Antwort und stellte sich selbst zur Rede in großer Schau: »Kleinbergbau ist meine Tagesarbeit! So mach ich das in Kneipen und Spelunken, wohin Sie nie selbst kommen, verschätzter Leser und Konsument – begleiten Sie mich zu Mord und Lust und Lüsternheit.« Nach vielen schnellen Espressobarpausen, ging es weiter in seinem Belehrungseifer: »Genau dort müssen wir hinschauen, wo das System uns zwickt und zwingt, nicht wir selbst zu sein, unterm Perserteppich und hinterm Wandbehang. Dann lüften wir unser Toupet und darunter sind Zotteln und Würmer!« Seine Avocadobrühe verschlang er im Laufschritt. Er hatte Fragen gestellt, an sein Publikum und diverse Menschen und Menschen überhaupt überall, in Gassen und Gässchen, in Tassen und Tässchen – in seiner Lesung auf der internationalen Rassekatzenausstellung in der Sankt-Jakobus-Mehrzweckhalle, gestern, Donnerstag, den zwölfzehnten.

Das ist der Weg zum Sonnenuntergang. Vor der kommenden Finsternis.

»Ich töte mit dem Herzen!« Ein Spruch aus irgendeinem Lieblingsbuch der letzten Fünf-nach-Zwölf-Uhr-Kinder. Ihr schwarzer Turm rumpelte in Zeitlupe in sich zusammen und ein Alptraum verpuffte halb und halb, im ersten Teil mit Cliffhanger.
Das war noch nicht das Ende.
»Ich töte mit dem Herzen!«, sagte er und schoss drei Nägel in die Wand, genau zwischen meine Augen.

Ich wollte so etwas nicht mehr schreiben, wollte Geschichten schreiben. Ich wollte mich tatsächlich ändern, zur Ruhe kommen, die in mir schon lange weilt. Aber ich hab mich mitgenommen … bin es auch, und wieder.

Botenstoffe

Ich bin ein Obstbaum.
Ich wär gern eine Wolke.
Mit Gartenarbeit löst sich in Luft auf, was erdig war.

Was gibt mir solche Sätze ein? Wer?

Oft sitze ich halb verzweifelt vor meiner Tastatur, kann es nicht sein lassen (weil ich es sein lasse? Seins-Gelassenheit?), was mir in den Schädel fliegt, hineinzutippen, Sätze wie:

Begehrungsmaschine läuft in kurzen Hosen vor rotem Cut-Out-Tanga über blanke Nerven.
Der Pfiff auf Selbstliebe war ein Startschuss für Eigentorhüter.

und, und/oder:
Geplünderte Dummheit wird nicht leerer.
Ich habe die Berge zu deinen Füßen gesehen.

Woher kommen diese Sätze? Aus dem Lesealltag?

Niemand wird mir das als Kreativität auslegen müssen. Weil ich Kreativität nicht mag. Mein Alltag ist grau-grieselig, seventy eight and a half schäids of gräi. Kreativität (gegenwärtig) ist ein politisches Himmelbild aus dem globalen Süden, die ein verwirrter Mistral in die Kunstpoebene bläst und dort für Trockenheit und Dürre sorgt. So viele Sorgen, so viele Windungen.

… wieder so ein Satz …

Warum schreibe ich ihn auf? Weil ich (ein) Künstler bin! und weil ich deswegen muss; weil ich mich authentisch geben möchte … nur so ist Literatur/Kunst/Musik echt – weil Künstler keine andere Möglichkeit haben als den Zwang zum Ausdruck: Sie müssen tun, was sie tun müssen (um die Welt zu verbessern und ihren Bewohnern die korrigiertesten Wahrheiten zu verkündigen, unmissverständlich und verschlüsselt). Künstler sind die unfreiesten Menschen, die vorstellbar sind. Sie haben es mit der Freiheit der Kunst zu tun, und sagen es dauernd, wenn sie dann doch mal richtig verstanden werden und ohne Ausreden zu Hintergedanken einstehen sollen – aber sie selbst macht Kunst unfrei.

Ich denke, das sind Gedanken.

Meine:

Arzt entlarvt die größten Ernährungslügen bei Großgewitter und Schauder.
Die Elebnisbeauftragte dümpelt sich von Party zu Hängepartie.
Zwischen Sippenverschwiegenheit und Erleuchtungsparkverbot gibt es keine goldene Mitte.
Das gebrochene Schweigen trifft auf geeiste Entenleber.

Ja, schütteln Sie einmal den Kopf. Geben Sie acht, dass durch das Lesen ausgelöste, unverständliche Gedanken darin nicht homöopathisch ausgedünnt und potenziert werden.

Ein Lesetipp über dem Datenschutzhinweis einer News-Flash-Seite erklärt mir, was mit mir und meinen Sätzen los ist: Es sind ausgesprochene Vergiftungserscheinungen, die mich antreiben, als Zennn so viel Unverständliches zu schreiben (und darauf zu stehen, auf getönten Füßen, siehe unten):

Schlagzeile: Nachdenken hat seinen Preis

»Geistige Anstrengung verändert den Hirnstoffwechsel, zeigt eine neue Studie. Im Nervengewebe sammelt sich dabei ein Botenstoff an, der potenziell giftig ist.«

Potentiell oder partiell? Ich strenge mich geistig an – das möchte ich gerne meinen machen. Ich sitze, gehe und denke. Ich esse, trinke und rede, und denke. Ich lege mich schlafen, und denke. Es gab eine Zeit, da betete ich zu einem kleinen eisernen Kreuz auf meinem Nachtkästchen … und hoffte, und dachte (an Gott und an ewig am Schmerz reibende, mit Nägel durchstoßene Hand- und Fußknochen).

Nachdenken, heißt es in dem Artikel, strengt an, es »hat seinen Preis«, frisst viel Energie und erzeugt dabei zu viele Botenstoffe im Gehirn, die im Extremfall zu Vergiftungen führen können. Toxisch also. (Eine passende Stelle endlich meine Eltern anzuklagen: In was für eine Zeit habt ihr mich geboren? Als Baby-Bommer noch dazu! Welche toxischen Hintergedanken hattet ihr, mir für mein Alter ausgerechnet das anzutun.)

Toxische & toxisch-giftige Botenstoffe transportieren durch mein Hirn brühwarm-unausgegorene Botschaften.

Gif eines Kirchturms, dessen Spitze sich wie eine Rakete löst

oder so

Gif eines Sonnenblumenfeldes mit fliegenden Sonnenblumen

und

Nicht alle Botschaften, die Künstler verbreiten, sind verständlich … man darf herumdeuten und stets sagen, es war anders gemeint. Nachdenken kann einen an der Nase herumführen. Der Schlawiner ist ein Teamarbeiter …

Das warme Wir fehlt.
»Was hilft gegen Zeitfresser?« Die Strandpauke.
Ein Bart wie Nietzsche und Gedanken wie ein Zirkuspudel.

Worum geht es hier?

Ums Hier und Jetzt? Ums Dies- und Dasseits? Um die Weltverbesserung durch Dreideutigkeit?

gez. Zennn,
Botschafter von Botenstoffen am rosa Abendhimmel, am Fenster stehend mit heißem Kragen und schwarzen Fußsohlen.

gif einer schwarzen Fußsohle

Jesus war kein Christ

Nachricht »Judensau«-Skulpturen sollen erhalten bleiben

Sie sind Teil unserer christlichen Kultur, die wollen wir nicht canceln. Sie gehören zu unserer Identität – und die muss erhalten bleiben – auf Teufel bleib zuhaus’!

Geschichte ist keine Geschichte.

Collage Lukas Cranach, Codex Manesse Süßkind von Trimberg

Jesus
war
kein
Christ.

»Judensau« muss bleiben. Und lebt lange weiter und weiter in uns. Und macht uns nichts aus.

Anitirassismus: Juden zählen nicht

Es sei denn …

die machen was dort in Israel – dann kwellen die Kommentarseiten bei uns über und Zorn schwillt auf.

Uns wurde so unrecht getan von unserer Geschichte.


Collage veröffentlicht unter CC BY-SA 4.0 :: Lucas Cranach: Kardinal Albrecht von Brandenburg vor dem Gekreuzigten & Codex Manesse, Süßkind von Trimberg

Fensterloch in Wolken

Heute vor meinem Fenster, so wie gestern und morgen, singen Vögel rückwärts. Stare versammeln sich um den Kirschbaum. Ab und an stößt eine Fliege an die Scheibe, durch Mauerritzen schlüpfen heuer keine Wespen ins Zimmer. Neben mir liegt Flaubert auf dem Tisch, er berichtet mir aus seinem Ägypten von zusammengepferchten schwarzen Sklaveninnen auf nubischen Schiffen, die nilaufwärts verkauft werden, deren Brüste beim Zerstoßen von Steinen hin und her schütteln – ihm ist gerade langweilig auf seiner Reise durch den Orient. »Nach der Jagd auf Adler und Milane haben wir auf die Hunde geschossen«, erzählt er mir – es hallt leer am Rand der Wüste. So endet der Tag. Krieg an den Grenzen zum schwarzen Loch beginnt die Haut aufzulösen und elektrisierte Haare knistern an meinen Oberarmen.

Auf meinen Arbeitstischen versammeln sich außerordentliche Dinge.

Arbeitstisch

Wasseradern vier Stockwerk tiefer, sagt der Wünschelrutenmann mit einer Kokosschale in der Linken, machten mir kalte Füße in der Nacht. Rhabarberwickel kann er dagegen empfehlen. Strahlen von Strahlungen und weitläufige Gefühlungen wandern bis in meinen linken Bauchnabel.

Lisa fragt mich per Mail zum fünften Mal: »How do you make it yourself? What are your dirtiest second thoughts? … Take a look.« Ich lass es mir übersetzen, bevor ich es verstehe. Eine Flirt-Nachricht von Katja-Mami flog aus ihrem dunkelroten Portal zu mir: »Weißt du noch auf der Silberrücken-Party? … ruf an … Kuss Katja.«

Am Nasenring werde ich durch ungelebte Erinnerungen gezogen.

Woher kommt das Flüstern unter meinem Holzboden aus einer Gasmaske? »Want a slave down in your dungeon? … exquisit spanking!«

Nasenringfantasie

Es hängt an der Wand kein einziger Gedanke. Ich drifte um frittierte Saturnringe mit zunehmender Geduld.

»Samstagmorgen. Ich erstehe zwei Frauenzöpfe plus dazugehörigem Schmuck; die Frauen, denen man sie abschneidet, weinen, ihre Männer jedoch, die sie abschneiden, verdienen zehn Piaster pro Zopf … In der Morgensonne sah man von Fett schimmernde Köpfe, die wie frisch geteerte Barken leuchteten.« Dreißig Seiten und fünf Tage später ist Flaubert noch immer langweilig. Eilige Schüsse nach oben, dann ist wieder Gähnen auf der Reise.

Ich lege das Buch beiseite. Und wieder fallen aus unserem Himmel sanfte Sterbekissen.

Ich erinnere einen Blick in eine Molkerei mit Fledermäusen in Kanistern und an der Decke.

Ich schaue hinaus in die Aussicht.

Reise in den Fliederduft

Wenn ich durch den Friedhof mit den vielen Kurznamen (4-Buchstaben-Namen) spaziliere, gehe ich an Sträuchern und Bäumen vorbei, an Blumengestecken und Jahreszahlen, die mich an meine eigene Unsterblichkeit erinnern. Ich habe gelernt: Jetzt ist immer. Das einzig Ewige. Das große Wahre.

Bild einer Uhr mit Beschriftung »est mortis hora«

Wie wird der Friedhof in tausend Jahren aussehen? Eingeebnet, überwuchert, von Bomben umgeackert? Wird das Post-Zeitalter (post-faktisch, post-fossil, post-digital, post-materiell, post-human, post-anthropozän, post-gender, post-demokratisch, post-bellizistisch, post-lateral, post-men- & post-mortal) ins Trans-Zeitalter verblichen sein? Wird es noch Zeitfensterzustellung geben? Worüber werden die Toten in ihrer Ruhe sinnieren?

Solche Gedanken sind es, die ich hege, pflege und ausreite, bevor ich am Flieder rieche. Und Farbe und Duft bin. Ungleich dem Käfer, der soeben mit mir hineintaucht. Er hat einen Lichkorridor vor sich, in den er krabbelt, tausend Mal intensiver.

Bilder einer Fliederblüte

Draußen begleitet ein anschmiegsamer Wind eine Frau im orange-pinken flatternden Kleid bis zur Ampel. Eine junge Schöne, ganz in Schwarz mit nackten Schultern und freiem Bauchnabel steht mir gegenüber und ist sich ihres Eindrucks ungewiss.

Das war vor einigen Tagen. Diese Ewigkeit ist vorbei und versunken in meinem All. Es ist das Post-Flieder-Zeitalter angebrochen. Holler blüht.

Am Wochenende werde ich Hollersekt trinken. Und an Duftrosen schnuppern.

Am Morgen denke ich darüber nach, was ›jung‹ für mich bedeutet. Junge Frau, junger Mann, jung sein, fühlen. »Eine junge Schöne …«