Ich war in Australien.
Was habe ich dort gemacht? Sechzehntausend Kilometer weg von mir, von meiner Heimat, von meiner Wohnung, von meinem Arbeiten.
Mich selbst hatte ich immer bei mir.
War ich einer Powerpause erlegen, von denen mir damals, vor Australien, Redaktöre berichteten im neuen, jugendlich-bekennungsüberfließenden Selbsterfahrungsjournalismus?
Habe ich Detoxing von meiner Lebensweise gemacht … mich detoxifiziert (und die Welt dafür vergiftet)? War mir schon alles zu viel? Ich mir selbst? Alles Irreale rund um mich: zu viel soziales Leben in Nirvana und auf Twitter, wo ich nie war; auf Facebook, auf Instagram, wo es nicht nur ein Abziehbild von mir gibt; zu viel von Spotify, TikTok, Onlyfans, Netflix, Amazon, Whatsapp und Smartphone …
— — Ich frage mich, weil ich zurück bin in meiner eigenen Heimat, meiner eigenen Behausung, meinem Stuhl am Schreibtisch. Ich werde beim ersten Rundblick auf bekannte Abwasserzeitungen gefragt nach meinen Fußtritten gegen die Zukunft, meinen Fußabtritten, die in kommende Jahre hineinwandern und dort wuchern und alles, was wachsen will, verderben.
›Mit was hast du das ausgeglichen? Geh in dich und wenn du drinnen bist, wirst du aus dir fahren!‹
Es war alles falsch. Von Anbeginn. 1959, 1972, 2001, 2021.
Du sollst nicht reisen!
Du sollst nicht fliegen. Du sollst die Fremde dir nicht aneignen. Du sollst. Nicht. Alles hat Folgen, absehbar unabsehbar. Eine Illusion mehr auf dem Haufen, der mein Standpunkt ist.
In Zukunft keine Sternfahrten mehr nach Hammelburg, keine Wochenendausflüge mit dem Motorboot, kein Urlaub mit dem Coupé nach Norditalien. Kein Rindfleisch essen beim Fahren im Wohnmobil, keinen Käse essen, keinen Joghurt verschlingen, und nicht in Kuhaugen sehen und darin versinken, in Irrtümern von ruhigen Bildern und sanften hügeligen Weiden und summenden Bienen und Fliegen. Du sollst – NICHT.
So wie wir sind, gibt es uns nicht.
So wie wir sind, geben wir uns nur. Wir leben bloß auf den Brettern, die die Welt sind, die sie einmal bedeuteten.
Ich war in Australien und bringe nach Hause zu mir selbst Bilder von Blumen, Sonnenuntergängen, kahle, weich geschliffene Reste von Milliarden Jahre alten Bergen, die wie schlummernde Bärentatzen an den Enden meiner Behausung auf den Sonnenaufgang warten.
Schnitt!
Zurück zur Leseaufgabe.
(Der Mond ist voller Grübeleien.)
Ich war in Australien und bin zurück gar nicht ratlos.
›Hast du Geschichten mitgebracht? Etwas Authentisches gesehen, erlebt oder gar erlitten?‹ Die erstklassige westliche Welt in einem ihr gänzlich fremden Kontinent. Ich bin nicht ratlos zurückgekehrt und zur Unruhe gekommen.
Wenn ich etwas nicht weiß, nicht richtig fühle, schreibt es mir die KI korrekt und in klareren Sätzen auf den Bildschirm. Ein Chatprogramm birgt in allem überraschende Wendungen und Gedanken, die mir vielleicht nicht einleuchten … ich muss nur nachdenken, dann kann ich dem recht geben, was geschrieben steht. Was ich als falsch deklariere, ist Unwissenheit in einer inkommensurablen Welt und der Unwille, den geraden Weg hinabzurutschen, ohne Halt und Rücksicht.
Bild- und Sprach-Generatoren sind angeblich kein Ersatz für menschliche Kreativität … wer das glaubt, höre seinem begeistertem Erstaunen zu, wenn er Künstliche Intelligenz (nicht die eigene) am Werke sieht und liest und hört. Du brauchst dazu nur ein Weniges zu tippen. Die Illusion, ein denkendes Wesen vor dir zu haben, ist der willkommene Begeisterungsapplaus.
Was ich als ich hier schreibe, ist der Beweis, dass es nicht ganz wahr ist … keiner versteht mich — oder verstehen Sie sich selbst? Zumindest mehr als mich.
»Was will der?«
Was denkt der in seinem eigenen Sultanat? Wie unfair ist mein Sultanat? Was muss ich beachten, wenn ich herrschen und beherrschen will?
Die Weltwirtschaft war holprig unterwegs in huronischer Eiszeit.
Mehr →
Papst betet für Erbarmungslose anstatt Obdach zu geben.
Eine Antilopenmücke surrt am Kaktus vorüber, der in der Zwischenzeit geblieben ist, wo er vorher war. Mich dagegen beschäftigen die Fettnäpfchentheorie und das Apfelmushaus, Dichter, die fabulieren: »Wir leben Gedichte.« Es beschäftigt mich meine Zen-Sucht, die Liebe zu paradoxen Sätzen, die sich in sich selbst verkrümeln. Feinschmeichler und Gaumenzüngler. Und die Frage: Wie denken Tiere, im Tierreich? Wo finde ich das?
Der einarmige Pianist schreibt über die Viola und die Kunst und Gunst der Göttin des Verzichts. Wer kennt sich darin besser aus als ausgerechnet er? Oder war es kein Er?
Geständnisse eines Vampirs, der in Baumkronen sein Nickerchen hält, und eines Küchenchefs, mit Sternen behangen: »Als wir das Nordlicht sahen, fiel jeglicher Schmäh von uns ab.« Die Weisheit des Enneagramms von umfassend göttlichem Ursprung, vom Essen und vom Hören, darüber muss berichtet werden. Eines Tages und in einer einzigen blauen langen Nacht. Kinder besprachen sich über Tyrannenmorde in Großmammas Küche und auf Papas Laptop. Der las in Grauzonen in misogynen antiken Dichtungen und zuletzt verhüllte er sein Schweigen im Darknet und in Kriminalpoetologie. Völliger Wahnsinn.
Alles das Stimmenberichte am Firmament, abgelesen vom subventionierten Energiekleingärtner am Balkon: Die freie Luft auf Stockwerk 14 atmet nur der, der sie wirklich kennt. Wer hört ihn lachen, den Bösewicht, unten im zweiten Stock, wo wir uns tummeln, in dieser Welt, die gar nicht sein wird?
Eine schöne Nachricht zwischendurch bewegte die Menschheit zu Rührungen im Gemüt. Ich horchte auf: »Die Welt trauert« las ich in den Zeitschriften für Säugetierkunde.
Die Welt trauert nicht um Kleinigkeiten im Krieg.
Ich kam nicht geklärter zurück aus meiner Fernreise. Reisen bildet ein, und bildet nicht, sondern bildert nurmehr. Kängurus hüpfen vor meinen Augen in den Horizont.
Stille, Trauer und kleine Gesten in der feierabendlichen Meditationsrunde beim Inder – das einzige Restaurant, das in diesem Monat hier geöffnet hat. Ich treffe alte und neue Bekannte in einer lauten Runde. Es gibt erwärmendes Debattieren über Reisen und Unsitten (nur ungenießbare Süßigkeiten südlich von Siena), unter erotisierenden Verführungsbildern halbnackter Frauen an der Wand mir gegenüber.
Wir freuen uns am Tisch und lachen über die Klappverse, die uns geschrieben wurden aus nur drei Worten, und ein Bild gab’s obendrein, mit einem weiten Lichtkreis im Hintergrund, der uns von Gott berichtete, wie er sich dem Zufall überließ und in die Schöpfung sprang.
Wie konnte es dazu kommen? (Dass ich gar nicht weg war.) Eine Frage, die mich immer beschäftigt, wenn ich die Zeile lese und die Leere dazwischen.
Vogelgesang kann nachweislich Ängstlichkeit und irrationale Gedanken mildern.
Die irrationale Gesundheit ist davon unbeeindruckt. Mit energetisierter Om-Bekleidung hudeln Sie nicht mehr aus dem Yogakurs heraus in toxisch langatmige Alltäglichkeit. Toxikologen allüberall.
Ich lausche, aber es ist Winter. Kein Ton, nur ein Brummen vom Zug vorm Fenster. Ich wohne im Bahnhof, Endstation.
(Ich lausche wieder, einen Tag später und ich höre eine erste Amsel – um meine mentale Gesundheit mache ich mir keine finstere Gedanken mehr … die sind eh selten. Draußen schneit’s.)
Einen Monat Australien – was habe ich gesehen? Was habe ich zurückgebracht? Ich werde darauf zurückkommen.
War ich aus auf
Mit etwas schriftstellerischem Panik-Vokabular bleibe ich wach und erleuchtend im Hier und Heute und bin doch jeden Abend bereits um sieben Uhr der alte Mann von gestern, der seinen Abwasch nicht macht und es dem Mann von morgen entgegenschiebt.
Und dann am Morgen? Wie Phoenix in der Asche, mit Resilienz, Hypnose und Burn-in hinein in frisch gestärkte weiße Wäsche. Wohin fliegen 99 Luftballone in einer Nanosekunde? Morgen Lifestyle-Life-Berichterstattung ohne Rückzahlung von Wirklichkeit. Sexfluencer in Schleifengesprächen podcasten über blinde Flecken und Verwendung von Ursprachen in Therapiesitzungen mit dem Kamerapersonal, das all das Gefilmte mit sich nach Hause schleppen muss. Botox gegen Ohnmacht.
Warum haben Männer in aller Welt nur kurze Haare? laufen in einfältigen Hosen und Hemd und Shirt herum, farblos, gleichgesinnt auf schnelle Antworten bedacht?
Heimweh und Wehheim, so geht es mir. Aber ich bin es nicht, der hier herumformuliert.
›Verstehen Sie mich richtig!‹ schreibe ich, weil es so oft gesagt wird. Verstehen Sie mich. Versuchen Sie mit etwas Verständnis herauszubekommen, was ich meine, eigentlich, hinter meiner Vewirrung – es lohnt. Zeigen Sie Empathie dem Kopiekünstler und geben Sie nicht auf, scrollen Sie nach unten mit dem automatischen Bildlauf, klicken sie ihn an! Er hält Sie immer in der sanften Mitte und macht sie ausgeglichen. Heucheln Sie kein Verständnis, gestehen Sie Ihr Unverständnis – nie Ihren Unverstand.
»Wie umweltverträglich sind Ihre letzten Sätze?«, fragt Sie der Müllsammler, der in Ihrer Tasse liest: Auf der Kuh entspannen Kinder, Ferien auf dem Land, totale Relaxation gewährt. Der Kartoffelmann bimmelt durch die Straße, ›fünf Kilo zehn Euro, nur für kurze Zeit!‹ Die Kirche redet queeren Menschen ins buntscheckige Gewissen, während davon Betroffene andere queere Menschen vor dem Kunstsektor auf dem Wimmelbild am Kapellenplatz rund um den Dorfsäulenheiligen demonstrieren für schräge Gleichberechtigung.
Was ist dazu Ihre ehrliche Meinung?
Krimischriftsteller und Kabarettist Jein!, als Gelegenheitsmörder ab und zu, gab fürsorgliche Antwort und stellte sich selbst zur Rede in großer Schau: »Kleinbergbau ist meine Tagesarbeit! So mach ich das in Kneipen und Spelunken, wohin Sie nie selbst kommen, verschätzter Leser und Konsument – begleiten Sie mich zu Mord und Lust und Lüsternheit.« Nach vielen schnellen Espressobarpausen, ging es weiter in seinem Belehrungseifer: »Genau dort müssen wir hinschauen, wo das System uns zwickt und zwingt, nicht wir selbst zu sein, unterm Perserteppich und hinterm Wandbehang. Dann lüften wir unser Toupet und darunter sind Zotteln und Würmer!« Seine Avocadobrühe verschlang er im Laufschritt. Er hatte Fragen gestellt, an sein Publikum und diverse Menschen und Menschen überhaupt überall, in Gassen und Gässchen, in Tassen und Tässchen – in seiner Lesung auf der internationalen Rassekatzenausstellung in der Sankt-Jakobus-Mehrzweckhalle, gestern, Donnerstag, den zwölfzehnten.
Das ist der Weg zum Sonnenuntergang. Vor der kommenden Finsternis.
»Ich töte mit dem Herzen!« Ein Spruch aus irgendeinem Lieblingsbuch der letzten Fünf-nach-Zwölf-Uhr-Kinder. Ihr schwarzer Turm rumpelte in Zeitlupe in sich zusammen und ein Alptraum verpuffte halb und halb, im ersten Teil mit Cliffhanger.
Das war noch nicht das Ende.
»Ich töte mit dem Herzen!«, sagte er und schoss drei Nägel in die Wand, genau zwischen meine Augen.
Ich wollte so etwas nicht mehr schreiben, wollte Geschichten schreiben. Ich wollte mich tatsächlich ändern, zur Ruhe kommen, die in mir schon lange weilt. Aber ich hab mich mitgenommen … bin es auch, und wieder.